Russland 2007 – von James Mean

Rückblickend muss ich sagen, dass ich damals so sehr mit mir selbst und allem, was in meinem Leben auf mich einbrach, beschäftigt war, dass eine differenzierte Sicht auf vieles, was wir erlebten, gar nicht möglich war. Ich habe ja mehrere Jahre meiner Kindheit erst in England und dann in Tansania verbracht (u.a. daher auch mein „kosmopolitischer“ Name) und war daher auf vieles, was uns im heute sogenannten „Globalen Süden“ oder „Schwellenländern“ erwartete, durchaus vorbereitet. Aber wenn man als Rockband dort unterwegs ist, ist alles doch noch einmal ganz anders. Unsere Asientour war unglaublich, aber auch harte Arbeit – wir spielten fast jeden Tag eine Show, manchmal auch zwei. Die restliche Zeit saßen wir meist im Auto/Bus/Zug/Flugzeug. Zu viel feiern und saufen war für mich als Sänger auch nicht drin und die Angst krank zu werden (und so der ganzen Truppe und allen Zuschauern, Veranstaltern usw. im wahrsten Sinne des Wortes die „Show“ zu vermasseln), war allgegenwärtig. Daher habe ich auch keine großen Experimente beim Essen gewagt und versucht, auch so ein „braver“ Junge zu sein. Ich wollte mich möglichst professionell verhalten und meinen Job machen. Am Ende haben wir für die Tour dann auch draufgezahlt, jedoch wirklich lediglich in monetärer Hinsicht und ich möchte die Zeit auf keinen Fall missen.


Zur Wahrheit gehört aber auch, dass ich mich sehr schnell daran gewöhnt hatte, vor einem mindestens dreistelligen, elektrisierten Publikum zu spielen, und dass ich aus jugendlicher Naivität und einer gehörigen Portion Ignoranz (gemischt mit Arroganz) davon ausging, dass es von nun an immer so sein würde. Rock-Star Leben halt. Dabei waren wir im Pott eine zwar angesagte und aufstrebende Band – aber auch nicht mehr. 50 bis 100 Zuschauer kamen zu unseren Gigs, wir wurden öfter einfach mal auf der Straße angesprochen und standen in der Lokalzeitung – aber alles war ziemlich „normal“.           
Als dann das Angebot kam, in Sotschi am Schwarzen Meer aufzutreten, um die Vergabe der Olympischen Spiele an Russland zu feiern, sah ich das als einen logischen und fast unvermeidlichen nächsten Schritt in unserer bevorstehenden professionellen Karriere an. Worauf wir uns einließen, war eine Fußball-Weltmeisterschaft der Künstler, mit Mannschaften aus diversen Nationen, die sich tagsüber auf dem Platz gegenüberstanden und die sich abends die Bühne teilten. Unser Team „Germany“ war eine bunt zusammengewürfelte Truppe mit dem ehemaligen VIVA-Moderator Mola Adebisi (schöne Grüße) im Tor und eben u.a. Swen und mir auf dem Platz. Im Turnier waren wir mäßig erfolgreich, aber darum ging es ja auch nicht, sondern um echte Völkerverständigung (und Promotion für Russland). 


Ich muss zugeben – auch am Schwarzen Meer ist vieles wie im Film an mir vorbeigezogen; zu viele Eindrücke, um sie alle zu verarbeiten, keine Ahnung, wo man eigentlich hinsoll oder was genau von einem erwartet wird – im Zweifelsfall lächeln und in eine Kamera schauen, Interviews geben, ein bisschen posieren, um dann eine Show vor großem Publikum in abgefahrenen Venues zu spielen. Ein paar Erinnerungen habe ich dann aber schon: So erinnere ich mich zum Beispiel an einen Auftritt in einer angesagten Bar – direkt am Strand, viele leicht bekleidete Damen, enthusiastische Russen, die unseren Merch verkehrt herum trugen (es war auch eine dumme Idee von uns, unser Logo auf den Rücken statt auf die Brust der Shirts zu drucken) und an eine Menge Wodka.           


Ich erinnere mich, dass Swen völlig ausgeschaltet war und ich ihn ins Hotelzimmer trug, während die Securities unsere Instrumente hinter uns herschleppten. Daran, dass ich unterwegs ein Geräusch hörte, mich umdrehte und Swen fallen ließ, der daraufhin im Gesicht blutete. Ich erinnere mich, dass am nächsten Morgen (Mittag?) die Putzfrau ins Hotelzimmer kam, einen Schrei ausstieß und sofort wieder verschwand. Es roch wie in einem Pumakäfig, das Zimmer sah aus, wie man es von Möchtegern-Rockstars erwartete und Swens Bettdecke war voller Blut. Ganz normaler Abend und Folgetag in Sotchi – In der Lobby saß Thomas Anders am Klavier während die Gypsy Kings sich lautstark stritten, und dann hieß es: „Ihr spielt dann heute Abend bei der Zeremonie Eure Show und direkt danach geht es zum Flughafen.“ Ich dachte noch – schade, dann erfahren wir gar nicht, ob die Olympischen Spiele an Russland gehen (wie naiv ich doch war) und wir verpassen das Konzert von Thomas Anders und das Feuerwerk! Egal – alles war mega, alles war gut – so war nun einmal mein Leben in diesen Tagen. Wir spielten den Gig, packten unsere Instrumente ein und dann: Stopp! Die Band von Thomas war gerade von einer anderen Show (aus der Türkei?) gekommen und hatte in der kleinen Cessna ihre Instrumente nicht mitnehmen können. Der Flieger, mit welchem ebendiese hätten nachkommen sollen, hatte Verspätung und so ein Playback-Auftritt ganz ohne Instrumente sieht ja auch im TV bescheiden aus. Fazit: Wir fuhren zum Flughafen, während unsere Instrumente noch blieben, um und dann von einer Polizeieskorte mit Blaulicht zum Flughafen gebracht zu werden, damit sie mit ihren Besitzern im selben Flieger sein würden. Von der Luft aus sahen wird das Feuerwerk. Ganz normaler Tag halt.

Heute schaue ich mit mehr Verständnis auf unsere jüngeren Ichs (Wirs?) – es war damals einfach alles sehr heftig und es ging alles sehr schnell, wie wenn man in einer Achterbahn hochgezogen wird. Nur dass es irgendwann auch wieder nach unten geht, aber daran wollte ich damals nicht denken. „You gotta rise before you fall!“ – Erst mal nach oben und dann schauen wir weiter. Dass wir danach noch über zehn Jahre lang fast jedes Jahr in diversen Teilen Russlands spielen, intensive Erfahrungen sammeln und unfassbar spannende Menschen kennenlernen würden, konnte ich damals noch nicht ahnen. Auch nicht, dass unsere Musik bald auf Pro7, DSF etc. und in dutzenden Kinosälen in ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz (GSA oder DACH, wie der Profi sagt) in Dauerschleife laufen würde. Aber dass als nächstes ein paar Gigs in London anstanden und wir dann den Schritt über den großen Teich wagen würden, um eine Mini-Tour in Kalifornien und Las Vegas zu spielen, das war abzusehen- denn das lag ganz allein in unseren Händen. Aber dazu ein andermal mehr.